Analyse: Tesla ist kein Autobauer
405 Prozent. So viel hat die Tesla-Aktie (WKN: 88160R101, WKN DE: A1CX3T, ISIN: US88160R1014) in zwölf Monaten an Wert gewonnen. Tesla ist damit fast 600 Milliarden Euro wert – vier Mal so viel wie der VW-Konzern, der 2020 aber allein von der Kernmarke VW mehr als zehn Mal so viele Autos verkauft hat. Tesla ist sogar mehr wert als VW, Daimler, BMW, GM, Ford, Stellantis, Honda, Hyundai und Kia zusammen (siehe Grafik)!
Prompt sprechen Beobachter von einer Blase an der Börse, die bald platzen wird. Nun, so einfach ist das nicht. Die Börse handelt stets die Zukunft, nicht den Status quo. Und die Tendenz spricht für die US-Amerikaner: Für 2021 erwarten Analysten im Schnitt 49,5 Milliarden US-Dollar Umsatz, 2025 bereits 110,7 Milliarden, der operative Gewinn soll sich unterdessen auf 15 Milliarden Dollar verdreifachen. Mit einer derartigen Dynamik können etablierte Autobauer nicht aufwarten.
Aber vielleicht hinkt der Vergleich ohnehin. Womöglich ist die Tesla Inc. gar kein klassischer Autokonzern und wird mit den falschen Peers verglichen. Bewertet man nur den Autoverkauf, so ignoriert man die anderen Geschäftszweige und Kernkompetenzen des von Elon Musk gegründeten Konzerns und die langfristige Wertschöpfung, die sich daraus ergibt. Der Konzern könnte künftig mit Dienstleistungen und Softwareangeboten im Bereich autonomer Fahrzeuge, mit GPS-Diensten oder Performance-Upgrades zusätzliche Einnahmenquellen erschließen mit hohen Gewinnmargen. Tesla produziert bekanntlich auch Batterien, ist nebenbei ein Energiekonzern. CEO Musk will eine Taxiflotte aus autonom fahrenden Elektroautos aufbauen, was ein Schritt zum umfassenden Mobilitätsanbieter wäre. Tesla hat im Online-Vertrieb die Nase vorn und mischt die Szene mit der Kryptowährung Bitcoin auf.
Wachstumsfantasie
Und dann ist da noch das Thema Big Data. So wie Apple oder Amazon sich in unsere Wohnzimmer eingeschlichen haben, so kann Tesla unterwegs das Steuer übernehmen. Daten können vielfältig genutzt werden: für Werbezwecke (welches Lokal schlägt das Navi vor?), für technische Serviceleistungen oder auch von Versicherungen. Daraus ergibt sich erhebliches Wachstumspotenzial. Experten von McKinsey schätzen, dass der Markt für im Auto gesammelte Daten 2030 bereits 750 Milliarden Dollar wert sein wird. Und TU-Professor und Fraunhofer-Austria-Geschäftsführer Wilfried Sihn sagt in einem Interview der KFZ Wirtschaft, dass er sich durchaus vorstellen könne, dass Autos, ähnlich wie dies bei Mobiltelefonen der Fall ist, in Zukunft womöglich gar nichts mehr kosten und nur noch über angeschlossene Dienstleistungen Geld verdient wird.
In all diesen Bereichen ist Tesla traditionellen Autoherstellern um Jahre voraus. Diese versuchen gerade einmal, ihre veralteten Geschäftsmodelle so weit zu modifizieren, dass sie konkurrenzfähige E-Autos bauen können. Ex-Handyweltmarktführer Nokia sollte ihnen ein warnendes Beispiel sein, der war nach Apples Erfindung des Smartphones schnell weg vom Fenster.
Amazon lässt grüßen
Tesla ist ein Tech-Konzern. Also vergleichen wir ihn mit Tech-Riesen. Diese dominieren die Liste der wertvollsten Unternehmen der Welt. Es führt Apple vor Microsoft und Amazon. Tesla ist bereits unter die Top Ten vorgestoßen. Im Vergleich wirkt die Aktie nicht mehr ganz so teuer, sie ist aber immer noch stolz bewertet. Schließlich sind diese Tech-Riesen schon länger im Geschäft und fahren Milliardengewinne ein. Tesla ist indes gerade einmal aus den roten Zahlen gefahren. Es gab freilich eine Zeit, da schien ein Buchhändler namens Amazon, der jahrelang Verluste schrieb, ebenfalls hoffnungslos überteuert zu sein. Heute ist er mehr wert als jeder Industriekonzern dieser Welt. Und niemand würde Amazon als Buchhändler bezeichnen.
Das ist die Liga, in der Tesla spielt, und nicht jene mit 100 Jahre alten Autobauern, die in Anbetracht hoher CO2-Strafen der EU nun krampfhaft ihr Geschäftsmodell umkrempeln und auf einem neuen Terrain reüssieren müssen. Ganz ohne Grund ist nicht so viel Kapital in die Aktie gewandert. Das sollte den Platzhirschen der Autobranche zu denken geben.