Batteriezellen: Der Wachstumsmarkt vor der eigenen Haustür

Elektromobilität
11.05.2021

Die Investorenherde zieht, wenn man so will, stromaufwärts: Europa war bei der Produktion von Batteriezellen für E-Autos lange außen vor. Aber jetzt ist man auf einmal der Hot Spot. Bis 2030 braucht die Welt 2.000 Gigawattstunden an zusätzlicher Kapazität. 
Elektroautos prägen zwar noch nicht das Straßenbild, sie sind aber auf der Überholspur – zumal die Batterien immer besser werden.
Elektroautos prägen zwar noch nicht das Straßenbild, sie sind aber auf der Überholspur – zumal die Batterien immer besser werden.

Die Autoindustrie erlebt in der Coronakrise wie viele andere Branchen auch schwere Zeiten. Just zu diesem Zeitpunkt erlebt ein Bereich jedoch einen regelrechten Boom. Die Rede ist von der Elektromobilität. Gedrängt durch den Klimawandel und teils strenge politische Vorgaben zum Abbau der CO2-Emissionen wollen nun auch immer mehr Hersteller bei der E-Mobilität vorne mitspielen. 

Das Herzstück moderner E-Autos ist die Batterie. Die nötigen Hochvoltbatterien basieren in der Regel auf Lithium-Ionen-Zellen. Auf sie entfallen rund 40 Prozent der Wertschöpfung eines modernen Elektro­autos. Hier tut sich ein riesiger Wachstumsmarkt auf – einer, auf dem bislang asiatische Konzerne den Europäern davongefahren sind. 2019 entfielen einer Marktanalyse zufolge rund 90 Prozent der Produk­tionskapazität auf Hersteller aus Fernost, allen voran chinesische Unternehmen wie CATL oder BYD, gefolgt von LG oder Samsung in Südkorea sowie dem japanischen Konzern Panasonic. Das soll sich in Zukunft ändern. 

Rasantes Wachstum

Wolfgang Bernhart, Partner bei Roland Berger in Stuttgart, beobachtet die Entwicklung seit Jahren. Er beziffert die weltweite Kapazität der jährlich gefertigten Zellen aktuell mit etwa 300 Gigawattstunden (GWh). Bis 2030, so schätzt er, wird diese auf 2.300 bis 2.500 Gigawattstunden ansteigen, sich also in etwa verachtfachen. Es gibt aus heutiger Sicht somit einen Kapazitätsbedarf von nicht weniger als 2.000 GWh. 

150 Milliarden US-Dollar

Dafür müssen laut Bernhart ca. 150 Milliarden US-Dollar investiert werden. Europa wird sich ein ordentliches Stück des Kuchens sichern. Hier hätten gerade erst einzelne Player angefangen zu produzieren, Bernhart schätzt die aktuelle Produktionskapazität auf aktuell rund 30 Gigawattstunden, also gerade einmal zehn Prozent der erwähnten 300 GWh, die weltweit produziert werden. Bis vor kurzem waren es noch viel weniger. 

Die mittlerweile bereits angekündigte Produktionskapazität der EU liegt mit Blickrichtung 2030 jedoch bei stattlichen 600 GWh (laut Bernhart reicht das für rund zehn Millionen Fahrzeuge). Das wäre dann schon rund ein Viertel des Weltmarktes, womit Europa der zweitgrößte Produktionsstandort der Welt wäre. Das ergibt eine aktuelle Analyse von Roland Berger. „Neue Player kommen nach Europa, nicht zuletzt weil es hier attraktive Förderungen gibt“, sagt Bernhart im Gespräch mit der KFZwirtschaft. Hinzu komme ein Trend zur Regionalisierung und lokaler Wertschöpfung. „Europa wird der stärkste Wachstumsmarkt bei der Produktion von Batteriezellen“, betont der Experte. 

Tausende neue Jobs

Die EU-Kommission will die Forschung und Entwicklung europäischer Batteriezellen mit 3,2 Milliarden Euro fördern. Man will nicht allein auf Lieferungen aus Asien angewiesen sein, zudem können sich Autokonzerne dann auch über die Qualität der Energiespeicher von der Konkurrenz differenzieren. Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat im Vorjahr verkündet: „Im Bereich der Batteriezellenfertigung werden in den nächsten Jahren in Deutschland Tausende neue Arbeitsplätze entstehen. Ende des Jahrzehnts werden es mehrere Zehntausend sein. Auf diesem Gebiet müssen wir führend werden.“ 

Das schwedische Unternehmen Northvolt, das auch ein Joint Venture mit VW betreibt, baut seinen polnischen Standort in Danzig gerade zu Europas größter Fabrik für Energiespeicherlösungen aus. Freilich wollen auch Investoren aus Übersee, etwa chinesische Konzerne oder auch Tesla, an die europäischen Fördertöpfe. 

Und mit dem Auf- und Ausbau von Produktionsanlagen allein ist es noch nicht getan, wie Roland-Berger-Experte Bernhart betont: „Es wird eine Herausforderung, die gesamte Supply Chain sicherzustellen, also auch die Vorkapazitäten, die benötigten ­Rohstoffe, aufzubauen.“ Eine Herausforderung sei es auch, qualifizierte Ingenieure zu finden. „Die werden gegenseitig abgeworben“, sagt Bernhart. Die Zellmontage an sich sei zwar hochautomatisiert, aber irgendjemand müsse die Werke schließlich hochfahren. Und dann müssen noch die Qualität stimmen und natürlich auch die Kosten. Letztere würden mit den Stückzahlen sinken, aber auch durch den Übergang zu deutlich größeren Zellen. Durch größere Zellen und deren direkte Integration in das Batteriepack („Cell-to-Pack-Technologie“) oder Chassis („Cell-to-Chassis-Technologie“) werden nicht nur Kosten gesenkt, sondern auch die in einem Bauraum mögliche speicherbare Energie weiter erhöht. 

80 Prozent in zehn Minuten

Letzteres macht nicht nur die großen Batteriepacks überflüssig, sondern auch die einzelnen Module, in denen bislang die Batteriezellen zusammengefasst sind. Die sperrigen, schweren Gehäuse im Unter­boden würden entfallen. Dasselbe gälte für neue Entwicklungen in der Zellchemie, wo etwa nickelreiche Materialien oder Lithium-Eisenphosphat eingesetzt werden. Und ab 2025 soll Festkörperelektrolyt flüssige Materialien ersetzen. All diese Entwicklungen führen dazu, dass die Batterien weiter optimiert werden. 

Bernhart rechnet damit, dass 2030 eine Reichweite von mehr als 500 Kilometern Standard sein wird. Mehr wäre möglich, aber nicht wirtschaftlich, weil teurer und schwerer und in der Regel auch nicht notwendig. Es wird dann auch Schnellladesysteme geben, mit denen in weniger als zehn Minuten 80 Prozent der Kapazität erreicht werden können, meint der Experte. Und die Ladezyklen würden die Lebensdauer der Fahrzeuge dann deutlich übersteigen.