Exoskelette: Vorbeugung auf dem Rücken der Arbeiter
Anlegen wie einen Rucksack, dann die Gurte richtig einstellen und die Pads anpassen – so einfach ist ein Exoskelett angezogen und einsatzbereit. In der Autoindustrie gibt es reichlich Anwendungsgebiete. Der Prothesen-Spezialist Ottobock ist überhaupt erst durch den Volkswagen-Konzern zu dem Produkt gekommen. „VW ist 2012 auf uns zugekommen und hat gefragt, ob wir nicht ein Produkt entwickeln können, um Menschen mit körperlich anspruchsvollen Tätigkeiten wie Überkopfarbeit zu entlasten und so gesündere Arbeitsbedingungen zu schaffen“, erzählte Hans-Willem van Vliet, Vice President Research & Development bei Ottobock, anlässlich einer Produktpräsentation. Das Ergebnis ist „Paexo“ (siehe Bild), ein Exoskelett, das in etwa 20 Sekunden angezogen werden kann und die physische Belastung der Arm- und Schultermuskulatur bei Überkopfarbeiten um rund 50 Prozent reduziert. Paexo funktioniert nach biomechanischen Prinzipien, es richtet sich an den Bewegungen des Menschen am Arbeitsplatz aus und leitet Gewicht zu den Hüften ab, sodass das Schultergelenk entlastet wird.
Derartige Exoskelette werden in der Automobilindustrie ein immer wesentlicherer Faktor in den Bereichen Arbeitnehmerschutz und Vorbeugung von muskulären Erkrankungen durch repetitive Tätigkeiten. Und auch in anderen Branchen, etwa dem Baugewerbe eröffnen sich breite Anwendungsmöglichkeiten durch die mittlerweile verschiedenen am Markt erhältlichen Systeme.
Häufige Beschwerden von Arbeitern
Muskel-Skelett-Beschwerden und Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) stellen ein bedeutendes gesellschaftliches Problem dar und gehen mit einer hohen Belastung des Gesundheitssystems, der Wirtschaft sowie der Betroffenen Hand in Hand. Laut dem Fehlzeitenreport 2019 des Wifo fällt rund ein Fünftel aller Krankenstandstage auf eine Erkrankung des Muskel-Skeletts-Systems, wobei diese Krankenstände durchschnittlich 15,4 Tage betragen.
Dabei betrifft ein Drittel aller krankheitsbedingten Ausfälle aufgrund von MSE die Beschäftigten in der Altersgruppe von 50 bis 64 Jahren. Kombiniert mit dem demografischen Wandel, der Österreich bevorsteht – laut Statistik Austria werden 2050 mehr als 40 Prozent aller Arbeitnehmer*innen über 45 Jahre alt sein –, werden MSE ein noch gravierendes Problem werden. Vorbeugen könnte hier der Einsatz von Exoskeletten.
Wirksame Unterstützung
„Die Wirksamkeit von Exoskeletten wurde in dem EU-Forschungsprojekt Andy evaluiert: Die körperliche Belastung der Probanden konnte um 55 Prozent gesenkt werden, und auch die Herzfrequenz während der Arbeiten sank um 21 Prozent“, so Wolfgang Baumann, CEO der AWB Schraubtechnik- und Industriebedarf GmbH, die Exoskelette verschiedenster Hersteller vertreibt. Dennoch sei von keinem Allheilmittel zu sprechen, es komme darauf an, das richtige Produkt für den richtigen Einsatz zu wählen.
Das sieht man auch aufseiten der AUVA so, die von vielen Arbeitgeber erwartete eierlegende Wollmilchsau seien Exoskelette (noch) nicht. „Man muss festhalten, dass sie nicht die einfache Lösung aller Probleme sind“, stellen Anne Mück und Markus Lombardini, Experten der Fachgruppe Ergonomie der AUVA-Landesstelle Wien, fest. „Viele Probleme lassen sich anhand einfacher gestalterischer Anpassungen am Arbeitsplatz oder durch Änderung von Abläufen lösen.“ Dennoch beobachte man die aktuellen Entwicklungen sehr genau und sehe auch Potenzial.
Welche Arten von Exoskeletten gibt es?
Grundsätzlich kann man drei Typen von Exoskeletten unterscheiden: aktive, passive und softe. „Aktive Exoskelette enthalten einen Motor, der für mich die Bewegung ausführt oder diese sehr stark unterstützt. Das kennt man vor allem aus der Rehabilitation“, erklärt Baumann. „Die passiven setzten auf mechanische Hilfsmittel wie z. B. Feder- oder Seilzugsysteme, um Bewegungsabläufe zu unterstützen sowie Entlastung zu bieten. Softe Varianten sind eher unterstützend bzw. stabilisierend zu betrachten.“ Vor allem Letztere bieten für die Baubranche auch schon jetzt alltagstaugliche Lösungen an.
Wachsendes Repertoire
Das aktuell verfügbare Repertoire an Exoskeletten lässt erahnen, wohin es in den nächsten Jahren gehen kann, und auch die Zahl der Exoskelett-Hersteller wächst stetig an. Aktuell gibt es rund 30 Unternehmen, die Produkte in diesem Segment anbieten und entwickeln.
Paexo, das bereits erwähnte Produkt des Prothesen-Herstellers Ottobock, ist ein passives Exoskelett, das keine Energiezufuhr benötigt und mit 1,9 Kilogramm Eigengewicht sehr leicht ist. Im Überkopf-Einsatz wird dabei das Gewicht der erhobenen Arme des Trägers über die Armschalen mithilfe einer mechanischen Seilzugtechnik auf die Hüfte abgeleitet. Das schont laut dem Hersteller die Muskeln und Gelenke im Schulterbereich.
Für ein anderes Segment entwickelt Noonee seine Produkte. Der Chairless Chair, mittlerweile in der Version 2.0 verfügbar, soll es Arbeitern ermöglichen, fließend zwischen sitzen, stehen und gehen zu wechseln. Somit kann er vor allem für Arbeiten, die einen häufigen Wechsel der Positionen verlangen und in einem sehr begrenzten, eigenen Arbeitsplatz auszuführen sind, genutzt werden.
So unterschiedlich die einzelnen Lösungen der Hersteller sein mögen, eines haben sie alle gemeinsam: Sie sollten alle nur nach einer ausführlichen Einschulung genutzt werden.
Wenn man Exoskelette nutzt, dann richtig
„Entscheidet man sich für ein Exoskelett, ist es unabdingbar, die Nutzer für Verwendung sowie Einstellung auszubilden und für Risiken zu sensibilisieren“, stellt Lombardini fest. Die Produkte nur zu überreichen und es den Menschen ausprobieren zu lassen funktioniere nicht. Dies führt im schlechtesten Fall zu neuen Problemen oder verstärkt bestehende. „Man muss sich das ein wenig wie mit den Geräten in einem Fitnesscenter vorstellen: Wenn man weiß, wie man sie nutzt, helfen sie einem, wenn nicht, können sie Verletzungen verursachen“, ergänzt Mück. Ebenso dürfe man nicht vergessen, den Arbeitsplatz und die Fluchtwege im Bedarfsfall zu adaptieren, da die Exoskelette die Körperfläche teilweise vergrößern.
Dies sieht auch Baumann so, der bestätigt, dass Einschulungen ein wesentlicher Teil des Alltags sind. „Man darf nicht vergessen, dass jeder Körper anders ist, dementsprechend muss auch das Exoskelett richtig angepasst werden“, bestätigt der Experte. Die Praxis würde zeigen, dass dies von den meisten Arbeiter nach einer ausführlichen Einschulung meist im Arbeitsalltag selbstständig möglich ist. Diese Meinung spiegeln auch die Erkenntnisse eines aktuellen White Papers des Fraunhofer-Instituts wider.
Und was kostet so ein Exoskelett?
Eine Hürde für die weite Verbreitung von Exoskeletten könnten die Kosten von zweitausend bis sechstausend Euro darstellen, die nicht nur für den Arbeitsplatz, sondern für jeden dort beschäftigten Mitarbeiter anfallen. Förderungen gibt es – aus unterschiedlichen Gründen – aktuell keine.
Die drei Arten von Exoskeletten
- Aktive Aktive Exoskelette bieten den Anwender eine aktive mechatronische Kraftunterstützung bei einzelnen oder kombinierten physischen Belastungen. Sie weisen eine hohe Komplexität sowie ein höheres Eigengewicht auf, da sie pneumatisch oder von Motoren betrieben werden, eine Stromversorgung benötigen sowie meist modular aufgebaut und erweiterbar sind.
- Passive Passive Exoskelette unterstützen den Träger durch mechanische Hilfsmittel. Auftretende Belastungen werden aufgefangen, infolgedessen werden Bewegungen in der Belastungsrichtung erleichtert. Die Assistenzsysteme kommen ohne den Einsatz von Motoren, Sensorik sowie deren Stromversorgung aus.
- Softe Softe Varianten unterstützen, stabilisieren oder verstärken einen bestimmten Bereich des Körpers und wirken so entlastend.