Diagnosekrimi
Audi Q4 e-tron: Neuwagen macht Ärger
Der Audi Q4 e-tron einer Kärntnerin ist erst wenige Wochen alt und beschert seiner Besitzerin eine Menge Fahrspaß. Kein Wunder, beschleunigt das von einem 286 PS starken Elektromotor mit 545 Nm Drehmoment angetriebene kompakte SUV in nur 6,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h und erreicht eine abgeriegelte Höchstgeschwindigkeit von 180 km/h, die für österreichische Straßen mehr als ausreicht. Beim Laden an der 11 kW Wallbox in der eigenen Garage fällt der frischgebackenen Elektromobilistin allerdings auf, dass sich das Ladekabel nicht wie vom Verkäufer versprochen automatisch verriegelt, sondern vielmehr jederzeit abgezogen werden kann - eine Tatsache, die vor allem beim Aufladen an einer öffentlichen Ladesäule zu Problemen führen könnte. So bringt die Kundin ihren Q4 zurück ins Autohaus, um den Fehler zu reklamieren. Dass sie damit einen Diagnosekrimi anzettelt, wäre ihr nicht in den Sinn gekommen.
- Der Verkäufer vermutet einen mechanischen Defekt der Verriegelung und schickt die Kundin weiter zum Kundendienst in die Fachwerkstatt.
- Ein Serviceberater begleitet die Kundin zum Fahrzeug und kann sich die Bemerkung nicht verkneifen: „Aber liebe Dame, die Verriegelung kann man doch im Infotainment-Menü einstellen!“
- In der Meinung, die Angelegenheit in wenigen Minuten erledigt zu haben, scrollt der Serviceberater durch das Infotainment-Menü des Q4, während die Kundin vom Beifahrersitz aus zusieht.
- Das Problem: Trotz gründlicher Suche kann der Serviceberater den entsprechenden Menüpunkt nicht finden. Zum Vergleich öffnet er das Infotainment-Menü in einem anderen neuen Q4 e-tron, der im Schauraum steht. Überraschung: Die gewünschte Funktion ist im Menü vorhanden, die Verriegelung des Ladekabels lässt sich problemlos aktivieren.
- Wie bei Garantiefällen üblich, meldet der Serviceberater die Angelegenheit via DISS (Direkt Informationsservice System“ an den Importeur. Mit der Rückmeldung „Die Verriegelung lässt sich über das Infotainment einstellen“ kann er allerdings wenig anfangen.
- Auf eine neuerliche Anfrage, bei der er das Problem genauer schildert, erhält er kommentarlos den entsprechenden Abschnitt der Gebrauchsanweisung im pdf-Format zugeschickt.
- Bereits leicht verärgert nimmt der Serviceberater erneut Kontakt zum Hersteller auf und erhält schließlich ein aktualisiertes Softwarepaket zugeschickt, das er ins System des Q4 aufspielt. Fazit: Im Infotainment erscheint nun der entsprechende Menüpunkt, nach einem ausführlichen Test funktionieren Ver- und Entriegelung einwandfrei. Das Problem ist gelöst – scheinbar.
- Drei Wochen später kommt die Kundin wieder in die Werkstatt und beklagt erneut ein Problem mit der Ladekabel-Verriegelung.
- Nun wird der Q4 e-tron in der Werkstatt an die ODIS On Bord Diagnose angeschlossen, die allerdings keinen Fehler anzeigt. Ein Diagnosetechniker macht sich auf die Suche in den Tiefen des Systems und stellt erneut eine DISS-Anfrage, die allerdings mit einem lapidaren „Kein Fehler gefunden“ beantwortet wird. Fazit: Die Kundin wird nach Hause geschickt.
- Nachdem das Problem über mehrere Wochen bestehen bleibt, ruft die Kundin erneut im Autohaus an. Nun macht sich ein Verkäufer, der gleichzeitig Kfz-Techniker ist, auf den Weg zu ihr nach Hause, um die Wallbox zu überprüfen.
- In der Garage der Kundin wird das Ladekabel an die Wallbox angeschlossen, der Ladevorgang gestartet, und tatsächlich wird die Verriegelung nicht aktiviert. Nach näherer Untersuchung stellt der Kfz-Techniker fest, dass die Wallbox von der Handy-App eines Drittanbieters angesteuert wird, welche die Q4-Besitzerin zwecks Kostenkontrolle auf ihr Mobiltelefon geladen hat. Fazit: Die App startet den Ladevorgang erst dann, wenn der Strompreis unter ein von der Kundin voreingestelltes Preislimit fällt. Ist der Preis zu hoch, fließt gar kein Strom, und die Verriegelung des Ladekabels wird auch nicht aktiviert. Mit der Aufklärung der Kundin ist der Fall schließlich zu ihrer Zufriedenheit gelöst.
Erkenntnis
Bei Fahrzeugen, die neu auf den Markt kommen, wird vom Hersteller in der Regel ein hoher Schulungsaufwand betrieben, um alle Mitarbeiter:innen in Verkauf, Service und Kundendienst mit den technischen Spezifikationen vertraut zu machen. Da die Innovationskurve vor allem bei der jungen Gattung der Elektroautos besonders steil nach oben zeigt, können die Autohaus-Mitarbeitenden auf vergleichsweise wenig Vorerfahrung zurückgreifen. Tritt eine Fehlfunktion auf, wird daher zumeist ein Anwenderfehler vermutet. Bleibt der Defekt trotz Nachschulung des Kunden bestehen, wird der Hersteller in die Pflicht genommen. In diesem Fall waren beide Ursachen gegeben: Der Hersteller hatte das Fahrzeug mit unvollständiger Infotainment-Software ausgeliefert, und die Kundin hat eine vom Hersteller nicht autorisierte Handy-App zur Steuerung ihrer Wallbox verwendet. Für das Autohaus war der Aufwand enorm. Mehrere hochqualifizierte Mitarbeitende verbrachten mit der Lösung dieses Diagnosekrimis viele Stunden, die der Kundin nach dem Kulanzprinzip natürlich nicht in Rechnung gestellt wurden.