Mögliche Auswirkungen von COVID-19 auf die Restwerte
Seit Mitte März hat die Corona-Pandemie das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in den meisten Ländern fest im Griff. Die Situation ist mit kaum einer vergangenen Krise vergleichbar: Der direkte Autohandel im Schauraum ist per Verordnung zum Erliegen gekommen und kann höchstens auf den Online-Kanal ausweichen. Nachdem die Registrierungsstellen allerdings nur noch in Ausnahmefällen Anmeldungen durchführen, ist der Markt vorübergehend praktisch geschlossen. Das ändert sich zwar mit der schrittweisen Öffnung des Handels ab Dienstag nach Ostern – ob die Öffnung aufrecht erhalten werden kann und wie sich die Verkaufssituation und Kundenfrequenz durch „Social Distancing“ Maßnahmen ändern werden, ist jedoch noch nicht absehbar.
Die Krise betrifft freilich nicht nur die Automobilbranche – die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus führen in verschiedenen Wirtschaftsbereichen bereits zu Nachfrage-Einbrüchen, allen voran im Tourismussektor. Wie nachhaltig der Nachfrage-Einbruch durch die Pandemie auf dem Automarkt sein wird, lässt sich derzeit nur erahnen. Das wird überwiegend von der Stabilität der Kaufkraft und dem Konsumentenvertrauen in den kommenden Monaten abhängen. Sollte die Arbeitslosigkeit längerfristig auf hohem Niveau bleiben und zudem immer mehr Unternehmen von Kurzarbeit betroffen sein, wird bei den meisten Konsumenten und Unternehmen die Investition in ein neues Auto wohl nicht an oberster Stelle stehen.
Die Erfahrungen aus der – mit der aktuellen Situation allerdings nur bedingt vergleichbaren – Finanzkrise 2008/2009 haben gezeigt, dass die Erholung der Nachfrage deutlich länger dauern kann als zunächst angenommen. Das hat sich damals auch in der Entwicklung der PKW-Restwerte widergespiegelt: Der Wertverlust von 3-jährigen Gebrauchten war in den meisten Fahrzeug-Segmenten in den ersten 6 bis 9 Monaten nach dem Crash deutlich geringer, als in den darauffolgenden 2 Jahren. Kurzfristig sind die Werte damals im Schnitt um -1,3% zurückgegangen, mittelfristig betrug der Wertverlust allerdings rund -6%.
Die Einflüsse auf den Restwert
Um mögliche Szenarien der aktuellen Krise auf die Restwerte zu skizzieren, lohnt ein Blick auf die wichtigsten Faktoren, die den Restwert eines Fahrzeugs maßgeblich beeinflussen: Unter anderem spielen Angebotsmengen, die Nachfragesituation und nicht zuletzt der tatsächlich verrechnete Neupreis unter Berücksichtigung der Rabatte eine wichtige Rolle. Insbesondere Rabatte wirken sich direkt auf den Restwert aus, da die gewährte Differenz zum Listenpreis später auf dem Gebrauchtmarkt kaum mehr wettgemacht werden kann. Auch die Strategie der Hersteller hinsichtlich Kurzzeitzulassungen sowie Volumina bei Vermietungen hat einen direkten Einfluss auf die zu erwartende Angebotsmenge auf dem Gebrauchtwagen-Markt und damit auf den Preis sowie Restwert.
Zunächst zu den Angebotsmengen: Solange das Angebot die Nachfrage trifft, kann der Restwert hochgehalten werden. Kommt es in der Angebotsentwicklung – auch wenn nur über Phasen – zu einem Überangebot an Fahrzeugen, leidet der Restwert und das kann unter Umständen auch nachhaltig sein. Fast alle Hersteller in der EU haben in den vergangenen Wochen die Produktion vorübergehend eingestellt, was sich in diesem Jahr in sinkenden Neuwagen-Volumina zeigen wird und somit in den folgenden Jahren auch für geringere Mengen bei jungen Gebrauchtwagen sorgen wird.
Nachfrage-Tief und Rabatt-Schlacht als Damoklesschwert
Nachfrage-seitig hat sich bereits ohne Corona-Impact ein schwaches Jahr abgezeichnet: Bei den PKW-Neuzulassungen war von Jänner bis Februar ein Minus von 10,0% gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu verzeichnen. Die Nachfrage dürfte in den kommenden Monaten sowohl bei privaten Käufern als auch bei Gewerbekunden aufgrund der aktuell noch unsicheren Lage weiter einbrechen. Sollten die Hersteller und Händler auf diesen Nachfrage-Einbruch mit hohen Rabatten antworten, wird das die Restwerte bei jungen Gebrauchtwagen mittelfristig stark unter Druck bringen.
Bei den Gebrauchtummeldungen war der Trend bis Februar dagegen noch ein positiver, mit einem Plus von 1,9% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Allerdings ist auch hier davon auszugehen, dass die Nachfrage in Zeiten unsicherer wirtschaftlicher Großwetterlage nachlassen wird. Zudem könnten einige Händler aus Liquiditäts-Gründen gezwungen sein, ihre derzeit auf dem Platz stehenden Gebrauchtwagen mit ungewöhnlich hohen Rabatten schnell zu verkaufen. Das würde die Restwerte bereits kurzfristig in Mitleidenschaft ziehen.
Die Szenarien für den Weg aus der Krise
Eurotax hat fünf mögliche Szenarien zur wirtschaftlichen Erholung im Hinblick auf deren Wahrscheinlichkeit untersucht:
Die beiden Best-Case Szenarien gehen von einem nur kurzen, aber heftigen Einbruch und einer mehr oder weniger schnellen Erholung des Marktes aus – also von einem V-förmigen Verlauf der Krise. Das mittlere Szenario geht von einer langsamen Erholung auf das Vor-Krisen-Niveau aus. Die Kurve ist in diesem Fall U-förmig, wobei die Länge der Talsohle stark vom weiteren Verlauf der Infektionszahlen und damit verbundenen wirtschaftlichen Schäden abhängen wird. Die beiden Worst-Case Szenarien gehen von einer langen Rezession aus, mit langfristigen negativen Effekten auf die allgemeine Wirtschaftslage und Nachfragesituation.
Auf Basis der aktuellen Marktsituation ist die Wahrscheinlichkeit für folgende 2 Szenarien ähnlich groß: “langsame, U-förmige Erholung”, sowie “mittelmäßig schnelle V-förmige Erholung”. „Aktuell ist eher von einer langsamen oder mittelmäßig schnellen Erholung auszugehen“, so Robert Madas, Valuation Insights Manager von Eurotax Österreich. „Auf den plötzlichen Einbruch folgt voraussichtlich keine sehr steile Erholung, sondern eine mittelmäßig schnelle oder langsame Wiederbelebung des Marktes.“
„Das Zusammenspiel von zusätzlichen Rabatten und der Nachfrage wird für die Restwert-Entwicklung entscheidend sein“, so Robert Madas weiter. „Sollten aufgrund der Krise vor allem am Neuwagenmarkt ungewöhnlich hohe Rabatte für einen längeren Zeitraum gewährt werden, dann erwarten wir in diesem Jahr einen moderaten Wertverlust von rund minus 1% bis 2%“, so Robert Madas weiter, „mittelfristig ist allerdings von einer stärkeren Anpassung der Restwerte im Ausmaß von rund 3% bis 4% auszugehen.“ Im Fall von kurzfristig gewährten hohen Rabatten am Gebrauchtwagenmarkt wäre wiederum von einem höheren Wertverlust noch in diesem Jahr auszugehen, wobei mittelfristig die Werte stabiler sein sollten, vorausgesetzt die Rabatte am Neuwagenmarkt halten sich im Rahmen.
Allerdings ist es zum aktuellen Zeitpunkt noch zu früh für eine abschließende Prognose, welche mittelfristigen Auswirkungen Covid-19 auf die Wirtschaft und in weiterer Folge auf die Gebrauchtwagenmärkte haben wird. Derzeit sind bereits erste positive Anzeichen im Hinblick auf die täglichen Neu-Infektionen zu verzeichnen. Allerdings sind auch die hohen wirtschaftlichen Kosten, die durch die zur Eindämmung der Pandemie notwendigen Maßnahmen entstehen, deutlich zu spüren. Die kommenden Wochen werden also für die weitere Analyse der Marktsituation als auch für die Anpassung der Szenarien entscheidend sein, um die künftigen Entwicklungen auf dem Gebrauchtwagenmarkt abzuschätzen.