Eine Frau steht ihren Mann
Während andere Kinder ihre Sommerferien am Bauernhof oder im Schwimmbad verbrachten, hielt sich Sonja Liebl am liebsten bei ihrem Großvater in dessen Kfz-Werkstatt auf. Die Jaro Maruna & Gloria Lorenz GmbH in der Wiener Landstraße war sozusagen ihr Privatspielplatz. Hier übte sie sich im Umgang mit Schraubendreher und Gabelschlüssel, blickte den Automobilen unter die Blechhauben und lernte, wie sich deren Mechanik, Elektrik und Elektronik in Schuss halten oder – im Falle eines Defektes – wieder in Ordnung bringen lassen.
So war es für die 14-jährige Sonja nur logisch, nach der Grundschule in die Wiener HTL zu wechseln und das Fach Maschinenbau zu belegen. Dort erhielt ihre Begeisterung allerdings einen gehörigen Dämpfer. „Ein Fachlehrer hat mir ganz unverblümt gesagt, dass eine Frau in seinem Kurs nichts verloren habe“, erzählt Liebl. Der Mann saß am längeren Ast und verhinderte trotz guter Leistungen ihren Aufstieg in die nächste Klasse. Doch Sonja wollte nicht aufgeben. Nach Rücksprache mit dem HTL-Abteilungsleiter wechselte sie von der Tages- in die Abendschule und damit zu anderen Lehrern. „Dort war ich zwar ebenfalls das einzige Mädchen, aber für die zum Großteil älteren Schüler das Nesthäkchen“, schmunzelt sie. Die Klassenkollegen unterstützten sie und halfen ihr, wo sie nur konnten. Fazit: Sonja machte ihren Abschluss und sammelte gleichzeitig enorm viel Erfahrung als Kfz-Technikerin, weil sie ja tagsüber in der großväterlichen Werkstatt mitarbeitete.
Meisterin mit Sachverstand
Mit HTL-Matura und reicher Praxiserfahrung ausgestattet, trat Liebl sogleich zur Meisterprüfung an – und bestand auf Anhieb. Nach dreijähriger Babypause wurde die Mutter von zwei Söhnen von der Wiener Magistratsabteilung MA46 als Sachverständige für §57a-Belange aufgenommen. „Ich war außerdem Amtssachverständige für luftfahrttechnische Angelegenheiten und für §24a-Regelungen der Fahrtenschreiber zuständig“, erzählt sie. Nach neun Jahren Amtsstube lockte sie aber wieder die Privatwirtschaft. In der Folge wurde sie von mehreren Werkstätten als „Pickerlprüferin“ engagiert und spezialisierte sich nebenbei auf technische Unterrichtsmethoden. Am Wifi Niederösterreich hält sie bis heute Vorträge zu §57a und zur Berufskraftfahrerausbildung, und seit kurzem ist sie an der Automotive Akademie als Vortragende für technische und rechtliche Belange von §57a-berechtigten Werkstätten tätig. „Durch meine Praxis in den unterschiedlichsten Werkstätten kenne ich alle Regelungen für Motorrad, Pkw, Klein-Lkw und Anhänger“, führt Liebl ins Treffen. Auf die Frage, auf welchem Gebiet sich die größten Wissenslücken bei ihren Schüler*innen auftun, antwortet sie: „Das Technische ist weniger ein Problem als das Rechtliche. Viele Betriebe wissen nicht, welche Verpflichtungen sie gegenüber den Behörden haben.“ Als Beispiel führt sie die Meldepflicht bei Ermächtigungsänderungen der Pickerlprüfer an. Aber auch die Digitalisierung, zu der beispielsweise der Umgang mit Begutachtungsprogrammen gehört, stellt für manche Schrauber eine Herausforderung dar.
Frauen wird’s nicht leichtgemacht
Sonja Liebl hat ihren Weg gemacht, ist von ihren männlichen Kollegen längst anerkannt und wird als Expertin geschätzt. „Leider ist es für junge Frauen auch heute noch schwer, in der Kfz-Werkstatt Fuß zu fassen“, sagt sie. Immer noch bevorzugen die meisten Werkstätten Männer für die Kfz-Technik, auch aufgrund der sanitären Einrichtungen im Betrieb, die für weibliches Personal oft erst geschaffen werden müssten. „Als Mädchen musst du wissen, was du willst, und darfst dich nicht unterkriegen lassen“, rät sie ihren Geschlechtsgenossinnen. „Es hilft, am neuesten technischen Stand zu sein, denn du wirst von Kollegen und Vorgesetzten mit Sicherheit auf Herz und Nieren geprüft.“ Nur wenn man sich fachlich keine Blöße gibt, werde man ernst genommen und könne auch als Kfz-Technikerin in dem nach wie vor männlich dominierten Beruf bestehen.