Kartellrecht
EU-Kommission hat neue Vertikal-GVO verabschiedet
Die Kommission verkündete das vollbrachte Werk mit folgenden Worten: „Nach einer umfassenden Überarbeitung der Vorschriften von 2010 hat die Europäische Kommission heute die neue Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen (kurz Verikal-GVO) angenommen, die durch die neuen Vertikal-Leitlinien ergänzt wird. Die überarbeiteten Regelwerke geben den Unternehmen einfachere, klarere und aktuelle Vorschriften und Leitlinien an die Hand.“
Die neuen Vorschriften werden es ihnen, wie es weiter heißt, erleichtern, die Vereinbarkeit ihrer Liefer- und Vertriebsvereinbarungen mit den EU-Wettbewerbsvorschriften in einem Geschäftsumfeld, das sich durch die Zunahme des elektronischen Handels und der Online-Verkäufe verändert hat, zu bewerten.
Orientierungshilfen für Unternehmen
Die beiden überarbeiteten Regelwerke treten am 1. Juni 2022 im Kartellrecht in Kraft undsind bis zum 31. Mai 2034 gültig.Die für Wettbewerbspolitik zuständige Exekutiv-Vizepräsidentin der Kommission, Margrethe Vestager, bezeichnet die neuen Vorschriften als Ergebnis eines umfassenden Überarbeitungsverfahrens.Sie würden den Unternehmen aktuelle Orientierungshilfen bieten, die auf eine noch stärkere Digitalisierung im kommenden Jahrzehnt ausgelegt seien. Und dann meinte sie: „Die beiden Regelwerke sind wichtige Instrumente, die es allen Arten von Unternehmen, einschließlich kleiner und mittlerer Unternehmen, ermöglichen, ihre vertikalen Vereinbarungen in ihrem Geschäftsalltag zu bewerten.“
Die wichtigsten Änderungen an den Vorschriften betreffen die Anpassung des geschützten Bereichs, um sicherzustellen, dass dieser weder zu weit noch zu eng gefasst ist.
Die neuen Vorschriften Folgendes vor:
Eine Einschränkung des geschützten Bereichs in Bezug auf den zweigleisigen Vertrieb (also Situationen, in denen ein Anbieter seine Waren oder Dienstleistungen nicht nur über unabhängige Händler, sondern auch direkt an Endkunden verkauft) sowie Paritätsverpflichtungen, die den Verkäufer verpflichten, seinen Vertragspartnern Bedingungen anzubieten, die den Bedingungen der Vertriebskanäle Dritter und/oder den Bedingungen der Direktvertriebskanäle des Verkäufers entsprechen oder besser sind. Somit werden bestimmte Aspekte des zweigleisigen Vertriebs und bestimmte Arten von Paritätsverpflichtungen nach der neuen Vertikal-GVO nicht mehr freigestellt sein, sondern müssen stattdessen einzeln nach Artikel 101 AEUV geprüft werden.
In letzterem ist geregelt, dass Vereinbarungen zwischen Unternehmen unvereinbar und verboten sind, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken. Kurzum, Artikel 101 AEUV verbietet Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die den Wettbewerb beschränken.
Die Vertikal-GVO nimmt vertikale Vereinbarungen, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, vom Verbot des Artikels 101 Absatz 1 AEUV aus und schafft damit einen geschützten Bereich für sie.
Eine Erweiterung des geschützten Bereichs in Bezug auf bestimmte Beschränkungen der Möglichkeit eines Abnehmers, sich aktiv an einzelne Kunden zu wenden (aktiver Verkauf), und bestimmte Praktiken in Bezug auf den Online-Verkauf, d. h. die Möglichkeit, ein und demselben Händler für online und für offline verkaufte Produkte unterschiedliche Großhandelspreise in Rechnung zu stellen, sowie die Möglichkeit, für Online- und für Offline-Verkäufe in selektiven Vertriebssystemen unterschiedliche Kriterien festzulegen. Derartige Beschränkungen sind nach der neuen Vertikal-GVO künftig freigestellt, sofern alle anderen Freistellungsvoraussetzungen erfüllt sind.
Klarer und ausführlicher
Die neuen Vorschriften der Vertikal-GVO wurden, wie es aus Brüssel heißt, auch klarer gefasst und vereinfacht, um sie für diejenigen zugänglicher zu machen, die sie in ihrem Geschäftsalltag anwenden. Darüber hinaus enthalten die Leitlinien ausführliche Erläuterungen zu einer Reihe von Themen wie selektiven und Alleinvertriebsvereinbarungen und Handelsvertreterverträgen. Die Vertikal-Leitlinien enthalten ausführliche Hinweise zu einer Reihe von Themen, unter anderem zweigleisiger Vertrieb, Informationsaustausch, doppelte Preisauszeichnung und Agenturverträge.
Vier Jahre lang dauerte der Prozess zur Neugestaltung der Rahmenbedingungen, wie Autohändler und Autohersteller künftig im Wettbewerb zueinander auf dem Markt agieren dürfen. Vor allem den zweigleisigen Vertrieb – über Vertragshändler und direkt vom Hersteller – hat Brüssel nun als problematisch erkannt. Das, so der Tenor von Branchenbeobachtern, ist gut und auch erforderlich wie sich zuletzt bereits am Gebaren einzelner Hersteller gegenüber ihren Vertragspartnern zeigte.
Der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK), der die berufsständischen Interessen von 36.580 Kfz-Meisterbetrieben in Deutschland vertritt, reagierten laut deutschen Fachmedien positiv: Nach einer ersten Einschätzung von ZDK-Geschäftsführerin Antje Woltermann sind für den Kfz-Handel keine negativen Überraschungen erkennbar – im Gegenteil: Einige Klarstellungen seien sogar vorteilhaft. Brüssel weise mit der neuen Vertikal-GVO und deren Leitlinien die Autohersteller in ihre Schranken und stärke den Autohandel, so wird die erste Einschätzung aus dem ZDK zur neuen Vertikal-GVO kolportiert.
Der Verband der Marken-Vertragshändler (VMH) e.V. in Deutschland und die europäische Dachorganisation CECRA schauen indes mit Argusaugen auf die neuen Vorschriften aus Brüssel. Sie werden aktuell gründlich geprüft und in Kürze kommentiert, heißt es aus Berlin.
Dass die EU das Agenturmodell an strenge Voraussetzungen geknüpft wissen will und den Direktvertrieb künftig an Regeln gebunden haben will, war bereits aus einem im Vorjahr präsentierten Entwurf zur neuen Vertikal-GVO hervorgegangen.